Do 07.07.2022 - 20 Uhr
ACC Galerie Weimar (Burgplatz 1+2)
Wohl kaum eine Figur in der Geschichte der deutsch-tschech(oslowak)ischen Beziehungen polarisiert ähnlich wie der langjährige Außenminister und zweite Präsident der Tschechoslowakischen Republik der Zwischenkriegszeit, Edvard Beneš. Nicht nur seitens der Vertriebenenverbände wird er und sein Wirken in den düstersten Farben gemalt – einschlägige Bücher bezeichnen ihn als „Liquidator“ oder „Dämon des Genozids“ und selbst weniger reißerische Werke sehen in ihm zumeist einen engstirnigen Nationalisten.
In dem Vortrag soll es darum gehen, dieses pejorative Bild zu hinterfragen. Dabei soll auf Benešs politische Sozialisation und seine Vorstellungswelt eingegangen werden. Vor dem Hintergrund der Stellung der Tschechoslowakei im Zweiten Weltkrieg soll besonders auf seine Überlegungen als Sozio- und Politologe eingegangen werden, die den deutschen völkischen Nationalisten zum Gegenstand haben. Diese Analysen des Pangermanismus bildeten die Grundlage für eine Kritik des Nationalsozialismus, in der er schon früh bemerkte, es hierbei nicht nur mit einem dem italienischen Faschismus vergleichbaren Herrschaftssystem zu tun zu haben. Weiter soll diskutiert werden, ob es nicht gerade diese Einsichten waren, die Benešs Ruf in den deutschsprachigen Ländern zu dem werden ließen, was er heute ist.
Florian Ruttner (Wien/Prag) veröffentlichte bei ça ira das Buch „Pangermanismus. Edvard Beneš und die Kritik des Nationalsozialismus“.