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Heinrich Heine und der Präcommunismus
Vortragsgespräch mit Klaus Briegleb

Mitschnitt der Veranstaltung vom 13.07.2012

»Wie kein anderer deutscher Schriftsteller war Heinrich Heine dazu prädestiniert, ein Grenzgänger zu werden, wurde er doch auf der Grenze zweier Jahrhunderte und zweier Welten geboren und wuchs zwischen zwei Kulturen und Religionen auf. Wie kein anderer fühlte er sich gezwungen, Grenzen zu passieren, zu verletzen und einzureißen. Blieb sein Leben durch Überqueren geographischer, politischer und religiöser Grenzen geprägt, so sein Werk durch Versetzen ästhetischer, intellektueller und schließlich existentieller Marksteine.« [Gerhard Höhn]

»Der ›zynische Materialismus‹ Heines leistet dies: Er spaltet in der Erinnerung die falschen Vereinheitlichungen im revolutionären Denken wieder auf und stellt die gespannten Beziehungen des Intellektuellen zur Geschichte genauer auf die wirkliche Wirklichkeit menschlicher Alltagserfahrung ein. Heine zudem spricht als Künstler, als das Genie eines ästhetischen Materialismus, der die Tröstungen der Schönheit für das wirkliche Leben der Menschen auch dann noch bereit hält, wenn sie von der Schwelle des Grabes herüber sprechen muß, das ihr in der modernen Menschheit geschaufelt wird. Hier wird nun die politische Dimension von Schönheit und Trost erkennbar. Marx weiß, daß Heine einer der frühen großen deutschen Kritiker der Entfremdung des Menschen von sich selbst unter den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft ist. Welchen Preis der Dichter für seine Kritik zu zahlen hatte, weiß Marx auch. Er kannte inzwischen selber die, wie Heine das nennt, ›schreckliche Krankheit des Exils, die Armut‹.« [Klaus Briegleb]

»Unbestritten ist Heines Literatur ›die eines Aufbegehrens gegen Überkommenes‹ ist kritischer Widerspruch gegen ›die bestehende Ordnung.‹ Insofern dieser Widerspruch der universal-revolutionären Ordnung Vollendung des mit 1789 begonnenen Umsturzes gewidmet ist und Heines Schriften daher unter dem Titel ›Revolutionsliteratur‹ subsumiert werden können, lassen sie sich in mancher Hinsicht als ›Wörterbuch der Revolution‹ untersuchen.« [Jutta Nickel]

»Nach dem zerstörungsbedingten Rückzug Gottes aus der Welt liegt sie dem Dichter Heine als zertrümmerte, geistlose, konsonantische Buchstabenfolge vor Augen; sie ist allegorisches Stückwerk, in dem durch die Arbeit des philosophisch geschulten Dichters der Gottesname in das ›Jetzt‹ seiner Erkennbarkeit ein- und so Gott aus seinem anfänglich abstrakten Sein heraustritt und in menschlicher Geschichte ›zum Bewußtsein seiner selbst [kommt]‹.« [Jutta Nickel]

»In seiner Aversion gegen revolutionäre Reinheit und Strenge meldet sich Mißtrauen gegen das Muffige und Asketische an, dessen Spur bereits manchen frühen sozialistischen Dokumenten nicht fehlt und weit später verhängnisvollen Entwicklungen zugute kam. Heine der Individualist, der es so sehr war, daß er sogar aus Hegel nur Individualismus heraushörte, hat doch dem individualistischen Begriff der Innerlichkeit nicht sich gebeugt. Seine Idee sinnlicher Erfüllung begreift die Erfüllung im Auswendigen mit ein, eine Gesellschaft ohne Zwang und Versagung. [...] Heines Gedichte waren prompte Mittler zwischen der Kunst und der sinnverlassenen Alltäglichkeit. [...] Die sich selbst widerspiegelnde und damit wiederum sich selbst kritisierende Willfährigkeit seiner Gedichte demonstriert, daß die Befreiung des Geistes keine Befreiung der Menschen war und darum auch keine des Geistes. [...] Sein Wort steht stellvertretend ein für ihr Wort: es gibt keine Heimat mehr als eine Welt, in der keiner mehr ausgestoßen wäre, die der real befreiten Menschheit. Die Wunde Heine wird sich schließen erst in einer Gesellschaft, welche die Versöhnung vollbrachte.« [Theodor W. Adorno]

Im Gespräch mit Klaus Briegleb (Literaturhistoriker, Heine-Forscher und Herausgeber der sämtlichen Schriften Heines im Deutschen Taschenbuch Verlag) wollen wir uns einige Aspekte des Werks und Lebens von Heinrich Heine erschließen und über die Aktualität seiner Schriften diskutieren.