Mitschnitt des Vortrags von Roger Behrens vom 18.08.2011
Das bürgerliche Zeitalter manifestiert sich um neunzehnhundert in den modernen Großstädten, in den Metropolen der Industrie, des Handels und des Verkehrs. Georg Simmel hat mit seinem Essay ›Die Großstädte und das Geistesleben‹ (1903) versucht, dem in Hinblick auf einige soziologische wie psychologische Charakteristika Ausdruck zu geben: Urbanismus ist nicht nur der architektonisch umbaute Raum namens »Stadt«, sondern die ästhetische Formierung einer Lebensweise. Mit den zwanziger und dreißiger Jahren zeigt sich schließlich, inwiefern Großstadt und Kapitalismus über die Industrie hinaus in der Konsumgesellschaft verschmelzen: zeitgleich zu Clement Greenbergs ›Avantgarde und Kitsch‹ und Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz – in dem die These einer Ästhetisierung der Politik entfaltet wird – beschreibt Louis Wirth ›Urbanismus als Lebensweise‹.
Tatsächlich offenbart sich aber erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts das vollendete Spektakel dieses Urbanismus: Stadt als Zentrum einer alle Lebensbereiche durchdringende Kommodifizierung, als permanente Rückkopplung zwischen Politik und Ästhetik. Gleichwohl sedimentierten sich damit im Gefüge der Stadt Widersprüche, die nunmehr die Urbanität selbst infrage zu stellen scheinen: Die Städte, von denen noch vor wenigen Jahrzehnten behauptet wurde, dass sie für die Ewigkeit einer fortwährenden Moderne gebaut wurden, sind nicht nur unmodern geworden oder versuchen ihre postmoderne Wiedergeburt in einer zweiten Moderne zu inszenieren, sondern sie verschwinden; und mit ihnen beinahe alles, was die Menschen einst als Stadtmenschen auszeichnete, der Alltag in den Straßen, das Wohnen, das Flanieren und Spazieren, also die Stadt als Erfahrungsraum, als Ort des Feierns und als Spielplatz. Die Stadt wird posturban.