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Realismus - Antifaschismus - Expressionismus
Die Expressionismusdebatte und das Konzept des Realismus

Mitschnitt des Vortrags von Kerstin Stakemeier
und Roger Behrens vom 13.05.2010

Der Streit um den Realismus setzte sich seit seinem ersten Auftreten in Frankreich und Russland Mitte des 19. Jahrhunderts fort; schließlich ging es um den künstlerischen Anspruch auf die Realität. Nach dem I. internationalen Schriftstellerkongresses in Paris 1935 konkretisierte sich die so genannte Realismusdebatte als Streit um die Strategie der Volksfront gegen den Faschismus in Europa. Wo Lenin und Stalin ihn lediglich zur revolutionären Linie erhoben hatten, um die Eigenständigkeit der Künste gegenüber der Partei einzuschränken, debattierten zwischen 1936 und 1938 Ernst Bloch, Anna Seghers, Georg Lukacs in der Zeitschrift ›Das Wort‹ das Problem, wie die Kunst das Reale fassen könne. Eine Paralleldebatte entwickelte sich in Paris. Hier ging es um den Realismus der bildenden Künste, und hier mischten sich unter anderem Le Corbusier und Fernand Legér ein.
Es ging um die Frage nach Funktion der revolutionären Kunst, darum, wie sie die Realität fassen könne, sie erkennbar mache ohne sie dabei zu affirmieren. Und während Lukács und Brecht auf unterschiedlichen Wegen nach einem sozialistischen Realismus suchten, stellte Bloch den Expressionismus als einzig denkbaren Realismus im Angesicht der faschistischen Bedrohung dar. Und auch wenn die eigentliche Realismusdebatte bereits wenige Jahre später beendet war, und sich von nun an fast ausschließlich in staatsimmanenten Debatten der realsozialistischen Länder niederschlug, setzt sie sich thematisch in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts fort. Beim frühen Godard, bei der Pop Art oder in den Diskussionen über den Status der Populärkultur – immer geht es um die Frage nach dem Verhältnis der Kunst bzw. Künste zur Gesellschaft und das Problem, in welcher Weise Kunst überhaupt gesellschaftliche Wirklichkeit zu erfassen vermag.

Für eine Kunst, die ihre gesellschaftliche Funktion und Bedingtheit reflektiert, ist die in der Realismusdebatte behandelte Thematik zu aktualisieren. Dies auch deshalb, weil es in den letzten Jahren immer mehr Ausstellungen und Projekte gegeben hat, die versuchten das Thema des Realismus bloß als einfache figurative Selbstbespiegelung der Gegenwart zu besetzen. Gegen diese Besetzung soll aus historischer und gegenwärtiger Perspektive diskutiert werden.

Kerstin Stakemeier arbeitet zur Frage des Realismus in der Gegenwartskunst sowie zum Künstler als Amateur und veröffentlicht regelmässig zum Verhältnis von Kunst und Politik. Sie ist aktiv in der antinationalen Künstler_innenorganisation Rosa Perutz. Roger Behrens ist Philosoph und Sozialwissenschaftler. Seine Arbeitsgebiete sind die kritische Theorie der Gesellschaft sowie die Philosophie und Ästhetik der Moderne und Postmoderne. Er publizierte zahlreiche Bücher und schreibt regelmäßig für die Jungle World.

TEIL 1: Einleitung / Kerstin Stakemeier über Expressionismus

TEIL 2: Roger Behrens über Ernst Bloch

TEIL 3: Kerstin Stakemeyer über die Realismusdebatte 1934-36

TEIL 4: Roger Behrens über die Expressionismusdebatte 1937/38

TEIL 5: Diskussion