Karina Korecky, Irene Lehmann und Marlene Pardeller
21. - 23.11.2014 — filmArche Berlin (Görlitzer Str.42)
Weiblichkeit und Kunst stehen in einem widersprüchlichen Verhältnis. Die Schöpferinnen künstlerischer Werke sehen sich nicht nur mit strukturellen Ungleichheiten am Kunstmarkt konfrontiert, mit niedrigeren Honoraren und kleineren Ausstellungsflächen, sondern vor allem mit (Selbst-)Zweifeln an ihren produktiven Kräften. Das überrascht zunächst, weil gerade Kunst gemeinhin als das Andere zur Ratio begriffen wird, als „ewige Naturanlage des Spieltriebs“, wie Adorno die herrschende Ideologie wiedergibt, und deswegen enger mit Weiblichkeit verknüpft wird als Wissenschaft oder Politik. Dennoch zeigt sich die Kunst den Frauen gegenüber ähnlich sperrig wie andere Bereiche: Insbesondere die Fähigkeit zur Entwicklung einer eigenen Formensprache wird Frauen abgesprochen – unabhängig davon, wie viele Werke von Künstlerinnen als Gegenbeweis angeführt werden können. In unserem mittlerweile dreieinhalbteiligen Workshop fragen wir, warum das so ist, wie Künstlerinnen mit diesen Hindernissen umgehen und wie sich dies in ihren Werken niederschlägt.
Im ersten Teil ging es um die geschlechtliche Konnotation der Kunst als solcher und was daraus für Künstlerinnen folgt. Die Kunst ist und erscheint autonom, losgelöst von Gesellschaft oder Geschlecht, aber in ihrem konkreten Erscheinen, sei es im Kunstwerk oder den Institutionen, wiederholt sich das Geschlechterverhältnis. Das autonome Genie wie die avantgardistische Künstlergruppe gleichermaßen haben die Abspaltung des Weiblichen zur Voraussetzung, die immer wieder neu stattfindet. Im eigenen Zimmer (Virginia Woolf) entdeckten wir: Jede muss immer wieder von vorn anfangen, es gibt keinen Fortschritt, in den wir uns selbstverständlich einfügen können (Geological Turn).
Im zweiten Teil diskutierten wir die Natur des Genies und sein Schicksal durch die Dialektik der Aufklärung – von Kant bis Otto Weininger – hindurch. Wir untersuchten das Verhältnis von Geist und Natur in der Kunstproduktion, das dem männlichen Subjekt vorbehalten ist, und seine Veränderungen. In der Literatur von Marina Zwetajewa, Djuna Barnes und Ingeborg Bachmann zeigt sich, was passiert, wenn Autorinnen die gleiche schöpferische Kraft für sich in Anspruch nehmen. In der Performance-Kunst zeigen Carolee Schneemann, Yvonne Rainer und Eva Hesse welche Provokation es bedeutet, den eigenen Körper zum Objekt der Kunst zu machen und damit zu versuchen, über ihr eigenes Bild und die Art des Betrachtetwerdens selbst zu bestimmen.
Die Verknüpfung von Weiblichkeit mit Natur als Grund und Quelle der inferioren gesellschaftlichen Position der Frauen zu identifizieren, gehört zu den grundlegenden Übungen feministischer Kritik. Bei der Analyse des Genies zeigte sich jedoch, dass auch die Natur, produktiv gemacht für die Schöpfung, gewissermaßen auf Seiten des Mannes liegt und die Frau davon ausgeschlossen ist. Wenn die Weiblichkeit aus allem herausfällt, weder Geist noch Natur, weder Künstlergenie noch Kunstexperte, weder Subjekt noch Objekt bedeutet, wie lässt sich ihre Position dann beschreiben? – Im dritten Teil unseres Seminars gehen wir von der Ähnlichkeit von Weiblichkeit und Kunst aus, den beiden „gesellschaftlichen Naturschutzparks der Irrationalität“ (Adorno). Nichts scheint entfernter von der aktiven Beherrschung äußerer und innerer Natur als Weiblichkeit und Kunst, trotzdem müssen auch Frauen aktiv tätig sein (in der Beherrschung ihres Körpers wie am Arbeitsplatz), den aktiven Prozess aber virtuos hinter den Resultaten verschwinden lassen. Mit dem schönen ewigen Weiblichen und dem unvergänglichen Kunstwerk wird ein mythisches Bild erzeugt, das Trost spenden und erhebende Gefühle produzieren soll. Wie Naturbeherrschung in Mythos umschlägt, und Aufklärung den Regentanz am Leben hält, wiederholt und verschleiert Kunst nicht nur die vermeintlich mythischen gesellschaftliche Phänomene, sondern kann auch eine besondere Erkenntnisform darstellen, sie zu entziffern.
Wir werden wieder keine fertigen Ergebnisse präsentieren, sondern wollen mit euch mithilfe von Impulsreferaten, Textlektüre und Diskussion eine erneute Schleife um die ewig gleichen Fragen drehen. Ein Reader mit Texten wird nach der Anmeldung zugesandt. Wir freuen uns auf euch!
Workshop-Programm
Fr, 21. November, 18 Uhr
Rückblick auf Teile 1+2 und Einleitung, Abendprogramm
Sa, 22. November, vormittags
Antigone has no story
Mythen des Subjekts und Weiblichkeit als Mythos
(Karina Korecky)
Die Aufklärung hat mit den Mythen aufgeräumt, gegen Glauben und Aberglauben Vernunft und Wissenschaft gesetzt, die Mythen als Projektionen des Subjekts entlarvt. Dem universellen Geist gegenüber reduzierten und verallgemeinerten sich die einzelnen griechischen oder biblischen, indischen und sonstigen Legenden, Sagen um Stämme, Götter, Kulte und Kriege zu dem Mythos. Aus den spezifischen Überlieferungen wurde die Markierung der Grenze begrifflicher Kategorien, aus den Erzählungen ein Akt, aus den Geschichten ein Vorgang. Dabei produzierte und produziert die Genese des universellen Geistes einen neuen Mythos, den die Aufklärung nicht als solchen erkennen wollte: die Weiblichkeit. Ihre scheinbare Geschichtslosigkeit wurde der wahre Mythos bürgerlicher Gesellschaft, nicht die Odyssee oder der Exodus. Das ausgehende 20. Jahrhundert hat die gesellschaftliche Konstruktion der Geschlechterdifferenz wahrgenommen, aber die Reproduktion des Mythos Weiblichkeit setzt sich dennoch unbeeindruckt fort.
Wie stellt sich also der Mythos her? Der Gedanke der Kritischen Theorie eines Umschlags von Mythos in Naturbeherrschung und Naturbeherrschung in Mythos, einer Reproduktion des Mythos im bürgerlichen Handgemenge, lässt sich subjektkritisch-feministisch pointieren: Wie produziert der Werdegang des naturbeherrschenden Subjekts die Weiblichkeit? Können dadurch vielleicht auch die Stoffe der Mythen und ihre Bedeutung im bürgerlichen Denken, interpretiert werden?
Sa., 22. November, nachmittags
„Shout, Sister, Shout!“: The „Godmother of Rock’n’Roll“ und „MagnifiCathy“ – Sirenengesang, Improvisation und Stimmartistik
(Irene Lehmann)
Wie an der Performancekunst im letzten Seminar deutlich wurde, erfährt das körperliche Moment der Kunst seit den 1960er Jahren größere Aufmerksamkeit. Besonders die Stimme erscheint als ideale Verbindung körperlicher und geistiger Momente. Sie ist zugleich ein Aspekt, der für die Zuweisung von Geschlechtsidentitäten von größter Bedeutung ist. Wenn so unterschiedliche Künstlerinnen wie Rosetta Tharpe und Cathy Berberian singen, kündigen sie die ihnen zugewiesenen Rollen als Frauen und Künstlerinnen auf. Improvisation und die avantgardistische Verwendung aus der Kunst ausgeschlossener Laute führen in die Spannung zwischen Notation und Gesang, zwischen (scheinbar) Unveränderlichem und Flüchtigen, zwischen Konstruktion und Ausdruck und weist auf die Zwischenstellung der Kunst zwischen Mythos und Naturbeherrschung.
Die dialektische Beziehung von mimetischem Impuls und Form ist einer der zentralen Ausgangspunkte von Adornos Ästhetischer Theorie, die zugleich ins Zentrum der Dialektik der Aufklärung führt. Sich mimetisch an das Objekt angleichen und es so zum Ausdruck zu bringen, ist eine Praxis aus den animistischen Tagen der Menschheit, die in der Kunst eingekapselt bleibt, und sie vom begrifflichen Denken unterscheidet. Anhand der Auseinandersetzung mit ästhetischer Praxis und ihrer Theorie werden wir erforschen, wie sich aus dem Zentrum der in der Dialektik der Aufklärung verankerten ästhetischen Kategorien heraus eine besondere Perspektive der Kunst über das Geschlechterverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft konstruieren lässt und was diese zu Tage fördern mag.
So., 23. November, vormittags
Die Kugel im Herzen. Jägerinnen zu Zeiten des Kommunismus
(Marlene Pardeller)
Als bei Djuna Barnes in Nightwood (1936) die Löwen erstarrten, in Paris, konnten keine Kunststücke mehr mit ihnen vollführt werden wie Virginia Woolf es noch geraten hat (On being ill, 1926), sondern sie versteinerten. Thronen stumm und starrend vor dem Hauseingang des Geliebten in Ingeborg Bachmanns Malina (1971).
Scheinbar verschwunden, werden die Löwen, Ausdruck für den verinnerlichten männlichen Willen, zu Fleisch bei Claire Legendre (Viande, 2001), tauchen als Mischwesen zwischen Vogel und Löwe – distanzlos als Sphinx – auf, die die Protagonistin selbst ist.
Silvia Avallone (Acciaio, 2010) und Lisa Kränzler (Nachhinein, 2013) kennen gar keinen Löwen mehr, aber Arbeiterinnenkinder und kommunistische Mütter bevölkern die Zeilen, Wünsche und Ziele der Protagonistinnen werden formuliert. Entlang der Schriftstellerinnen aus und nach der Oktoberrevolution wollen wir herausfinden, was mit den Löwen im Kommunismus passierte. Alexandra Kollontai (Liebe drei Generationen, aus der Oktoberrevolution heraus), Jelena Guro (So ist das Leben, vor der Oktoberrevolution) und Nina Berberova (Eine ganz normale Woche, nach der Oktoberrevolution) sind keine Löwendompteusen mehr sondern Jägerinnen.
Welche Schwierigkeiten und Fragen tauchen da auf, wo die Frau ein freier Mann, nein, Mensch werden soll? Und werden wir nie wieder mit Löwen spielen können?
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