Kunst
Spektakel
Revolution
K S R
Einleitung

Lukas Holfeld

Die vorliegende Publikation ist die schriftliche Dokumentation der acht-teiligen Veranstaltungsreihe Kunst, Spektakel & Revolution, die vom 16.04. bis zum 04.08.2009 in Weimar stattfand. Die Broschüre hat ebenso wie die Veranstaltungsreihe zwei Anliegen: Auf der einen Seite sollen die Beiträge einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Avantgarde, Ästhetik und radikaler Gesellschaftskritik bieten und auf der anderen Seite sollen sie einen Beitrag zur lang noch nicht beendeten Diskussion über das Vermächtnis der Avantgarde liefern. Die verschiedenen Beiträge repräsentieren dabei durchaus widersprüchliche Positionen – sie sollen jedoch nicht in beliebig-pluralistischer Manier nebeneinander stehen, sondern in den hervortretenden Widersprüchen eine ernsthafte Auseinandersetzung ermöglichen.

Was den überwiegenden Teil der einzelnen Artikel miteinander verbindet, ist die Einsicht, dass der Geschichtsbruch Auschwitz und die Bedeutung des Nationalsozialismus auch einen Bruch in der modernen Kunst bedeuten, der es unmöglich macht, nach 1945 einfach weiter Kunst zu produzieren und über Ästhetik nachzudenken. Auch der Angriff auf die Kunst, welchen die Avantgarden unternahmen, darf nach diesen Ereignissen nicht einfach weiter machen. Auf die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Barbarei muss ein zentraler Fokus gerichtet werden, will man noch eine radikale Gesellschaftskritik betreiben, die sich nicht selbst ad absurdum führt. Julien Gracq, ein recht unbekannter Sürrealist, reflektierte das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen war, mit folgenden Worten:

»Was es in dieser Epoche an authentisch Revolutionärem gab, hat doch nicht gründlich genug zur Einsicht in die Vorteile geführt, die darin liegen, wenn die dunklen Kräfte auf einer Seite stehen... Der Eindruck hält an, daß die Revolutionäre, fasziniert durch die Beherrschung der Instrumente zur Erkenntnis der tiefen Geschichte, die ihnen das 19. Jahrhundert mit Marx überliefert hat, zu deren Gunsten zu oft die empirische Kontrolle über gewisse unmittelbare Triebkräfte der Geschichte vernachlässigten, die sich dann unglücklicherweise (man denke an 1933) als Explosionskräfte erwiesen... Im übrigen hat der Hitlerismus (es ist nutzlos und sogar gefährlich, sich das zu verbergen) auf Jahre hinaus die deutschen Massen galvinisiert, so daß wir mit dem Skandal aller Skandale konfrontiert sind, dem man sich nur allzu leicht hingibt: daß nämlich das Weltproletariat dazu gezwungen ist, der Gesamtheit der deutschen Arbeiterklasse die Faust mit Verachtung hinzustrecken.« (»Lautreamont toujours«, 1947)1

Auch wenn aus diesen Zeilen noch immer die sürrealistische Begeisterung für das innere Triebleben der Menschen an sich spricht, die dazu geführt hatte, dass der späte Surrealismus in seinen mystisch-magischen Verirrungen kaum noch ernstzunehmen war, ist in ihnen die Erkenntnis angelegt, dass an den zurückliegenden Ereignissen nicht nur das Weltproletariat gescheitert war, sondern dass auch die »Avantgarde [...] gegenüber dem säkularen Sieg der Konterrevolution versagt und angesichts der Exekution des völkischen, eliminatorischen Antisemitismus in der Shoa nichts Wesentliches zu sagen gehabt [hat].« (BBZN in diesem Heft) Anschließend an Gracqs Gedanken, muss man dann doch zu dem Schluss kommen, dass Innerlichkeit und Unbewusstes viel mehr Teil einer Gesellschaftskritik sein muss, als dies unter Linken üblich ist. Die Kritik des Subjekts ist eine notwendige Angelegenheit.

Unabhängig von der Frage, ob künstlerische oder anti-künstlerische Praxis heute überhaupt noch möglich ist oder ob man nicht vielmehr das nachholen müsste, was die Avantgarde versäumt hat: die kosmopolitische Weltrevolution, steht doch ohne Zweifel fest, dass es sich heute immer noch lohnt, sich mit den Widersprüchen der Kultur in der bürgerlichen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Gerade im deutschen Super-Gedenkjahr 2009 wurden diese Widersprüche im nationalen Gedächtnis eingeebnet und so gedachte man 90 Jahren Bauhaus als »Beginn der Moderne in Deutschland«2 und zog 60 Werke für die nationale Sache heran3. Es wäre zwar lächerlich, in nostalgischer Illusion die Avantgarde wiederbeleben zu wollen, doch man sollte die Deutschen daran erinnern, dass sich innerhalb der kulturellen Sphäre auch in Deutschland Widersprüche aufgetan hatten, die in ihrer Tendenz radikal über das Bestehende hinaus wollten. Wenn der nationale Taumel den Frontalangriff auf die bürgerliche Kultur als interessantes Experiment in die nationale Geschichtsschreibung einbettet, dann dürfte das höhnische Lachen der DadaistInnen auch heute noch gut tun: »Es ist der deutsche Spießer, der deutsche Geistige, der vor Wut platzt, daß man seine formvollendete Schmalzstullenseele in der Sonne des Gelächters schmoren ließ, der tobt, weil man ihn mitten ins Gehirn traf, das bei ihm dort liegt wo er sitzt – und nun hat er nichts mehr, daß er sitze!« (Raoul Hausmann)

Es ist notwendig, zu bemerken, dass wir die Übersetzung des Textes »Walter Benjamin, Politik und Ästhetik« von Esther Leslie nur dilettantisch vornehmen konnten. Dennoch haben wir es als sinnvoll erachtet, den Text in deutscher Sprache zugänglich zu machen. Wir bitten also eventuelle Fehler und Ungenauigkeiten zu entschuldigen. Wer sich intensiv mit dem Text auseinandersetzen möchte, sollte die englisch-sprachige Original-Version lesen, die auf dem Blog »spektakel.blogsport.de« unter der Kategorie »Text« zur Verfügung steht.

Der Mangel an einer Kritik der Geschlechterverhältnisse, die den Avantgardisten und ihren Kritikern (S.I.) gemein ist, wurde während der Reihe zwar immer wieder thematisiert, konnte jedoch kaum ausführlich behandelt werden. Aus diesem Grund nehmen wir den Text »Triebschicksal einer situationistischen Revolutionstheorie« in die Broschüre auf, der ursprünglich im »Magazin«4 erschienen ist. Damit ist dieses Thema natürlich keineswegs erledigt – die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen ist fester Bestandteil des Bildungsprogramms des BiKo's. Ursprünglich hatten wir außerdem geplant, in der Broschüre einen Text zur Kritik des Bauhauses zu veröffentlichen. Dieser konnte jedoch nicht rechtzeitig fertig gestellt werden – er wird in irgendeiner Form nachgereicht. Ein Großteil der Mitschnitte der Vortrage von Kunst, Spektakel & Revolution steht auf dem Webblog »spektakel.blogsport.de« zur Verfügung. An dieser Stelle sollen auch weiterhin Texte zum Thema veröffentlicht werden. Außerdem wird es Anfang 2010 eine Fortführung der Veranstaltungsreihe geben, welche sich ergänzend mit Themen beschäftigen wird, die im ersten Teil nicht berücksichtigt werden konnten. Es sollen angeschnittene Diskussionen fortgeführt und in der im August 2009 beendeten Reihe eröffnete Nebenschauplätze näher beleuchtet werden.

Dank an
Die ACC-Galerie Weimar und die Rosa Luxemburg Stiftung Thüringen für die freundliche Kooperation; an Michél und Alex für die radiotechnische Unterstützung; an Michel, Ziska und Herrn Helm für die Hilfe bei der Übersetzung des Textes von Esther Leslie, an Schroeter und Berger für das Werbe-Design und das Layout der Broschüre und nicht zuletzt an die ReferentInnen und AutorInnen der Broschüre für die freundliche Zusammenarbeit.

  1. Zitiert nach: Karlheinz Barck (Hg.): Surrealismus in Paris. 1919 – 1939. Ein Lesebuch, Leipzig 1985, S. 721 f [zurück]
  2. So das Motto der Jubiläumsfeierlichkeiten für das Bauhaus in der Kulturstadt Weimar. [zurück]
  3. Vgl.: www.60jahre-60werke.de [zurück]
  4. www.magazinredaktion.tk [zurück]