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Vorwort

Jakob Hayner

Das besondere Interesse, welches die Kunstform Theater auf sich zieht, liegt in ihrem öffentlichen Charakter begründet. In der griechischen Antike entwickelte es sich mit der Polis der attischen Demokratie. Die öffentliche, durch Kunst verhandelte Sache macht den Grundzug des Theaters aus — über das elisabethanische und bürgerliche bis hin zum epischen Theater. Die Bretter, die die Welt bedeuten, stellen die gesellschaftliche Ordnung in Frage, indem sie künstlerisch zur Darstellung kommt. Insoweit war für das Theater die Frage, welche Welt da eigentlich auf welche Weise bedeutet werden soll, schon immer von Interesse. Die Frage nach der Realität und dem Realismus ist dem Theater in gewisser Weise inhärent, jedoch sind die Diskussionen um den Begriff des Realismus spezifisch modern und haben mit der bürgerlichen Autonomie der Kunst ihre Substanz gewonnen. Die Freisetzung der Kunst und der Künstler im Kapitalismus haben die Frage bedingt, was mit Kunst bedeutet und bezweckt werden kann und soll. Auf die kapitalistische Veränderung der Welt zu reflektieren, ist Anliegen einer Debatte um den Begriff des Realismus.

Der Begriff des Realismus stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft. Seit seinem Aufkommen ist er ein kritischer Begriff. Besonders interessant wird er aber erst im Zuge der kommunistischen Debatten der zwanziger und dreißiger Jahre. Der Realismus ist der Begriff, der es ermöglicht, die lebendige Dialektik der Kunstwerke im Zusammenhang mit ihren gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen und Wirkungen zu betrachten. Der Realismus ist, entgegen den über ihn kursierenden Vorurteilen, kein Naturalismus. Im Gegenteil ist er die Kritik des Naturalismus. Der Naturalismus ist der Positivismus in der Kunst, der annimmt, dass die Kunst zur Realität in abbildender Weise sich verhält. Aber damals wie heute hat man die Realität weder mit einem Blechnapf oder Experten des Alltags auf der Bühne. Die Wirklichkeit will ja begriffen werden, nicht abgebildet. Der Realismus ergreift Partei für ein dialektisches und ästhetisches Begreifen der Wirklichkeit durch die Kunst, also für die Poesie. Der Realismus ist darüber hinaus auch parteiisch, er ist eine Kritik der Verödung der Welt durch den Kapitalismus. Diese Kritik äußert die Kunst allerdings, indem sie besser als die Welt ist, in ihrer Form schon Utopie einer künftigen, von kapitalistischer Produktionsweise befreiten Gesellschaft ist. Ein neuer Realismus wäre ein Vorschlag für das Theater, der eigenen Mittel bewusst an der ästhetischen Utopie zu arbeiten, die auf vermittelte Weise auf die politische Utopie verweist.

Die in dieser Ausgabe versammelten Beiträge zur Frage des Realismus im Theater wurden mehrheitlich auf der Tagung »Theater – Realität – Realismus« im Juli 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten. Für die Unterstützung der studentischen Konferenz wie dieses Tagungsbandes bedanken wir uns sehr herzlich bei der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft.

    Jakob Hayner für die Redaktion

In der fünften KSR-Ausgabe war als nächste Folge die Dokumentation der Reihe »Dunkelheit und Schwarz in der Kultur« angekündigt worden. Das Erscheinen der »schwarzen Ausgabe« wird nun noch einmal verschoben und soll im Laufe des Jahres als N°7 der KSR-Publikationsreihe folgen. Informationen über Vorträge, Heftvorstellung und weitere Publikationen finden sich stets unter spektakel.blogsport.de. Die Finanzierung von Kunst, Spektakel & Revolution erweist sich fortlaufend als prekär — wir sind daher stets auf Spenden angewiesen. Wer KSR unterstützen möchte, kann eine Spende auf folgendes Konto überweisen — die Spenden können von der Steuer abgesetzt werden, auf Nachfrage stellen wir eine Spendenquittung aus:

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