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Das Riechen
Über den Ausschluss eines Sinnes aus der Kultur
Tagesseminar mit Micha Böhme
So 10.07.2011 – 11:00 Uhr
ACC Galerie Weimar (Burgplatz 1+2)

Seit Marx wissen wir, dass Natur, und somit auch die menschlichen Sinne nicht ein für alle mal gegeben sind, sondern geschichtlicher Wandlung unterliegen. Bekanntlich ist das Verzehren eines gebratenen (und daher duftenden!) Rindfleisch-Steaks etwas anderes als das rohe Verschlingen des Fleischstückes vor der Nutzbarmachung des Feuers für den Menschen.

Das Riechen – so die These – wurde in der neueren menschlichen Geschichte sowohl unterdrückt als auch verfeinert. Zunächst war es jener Sinn, der, die sich zivilisierenden Menschen, am stärksten ans Animalische gemahnte und darum starker Disziplinierung unterzogen wurde. Der aufrechte Mensch sollte sich so vom schnüffelnden Tier unterscheiden. Ohne Zweifel nahm die Bedeutung des Riechens in der menschlichen Geschichte immer mehr ab. Dem entgegen steht aber auch eine Verfeinerung des Geruchssinns. Die Menschen erfanden Duftwässerchen, entwickelten die Parfümerie zur Kunst, sie laben sich am Geruch von Blüten, schnuppern am Wein und lieben die edlen Düfte wohlbereiteter Speisen.

Horkheimer und Adorno verfassen mit der „Dialektik der Aufklärung“ eine kritische Geschichte menschlicher Zivilisation. Während Aufklärung Glück für alle bringen sollte, strahlt die Erde mit dem Sieg der Aufklärung im „triumphalen Unheil“. Alles was an Natur und Tier im Menschen gemahnt war der Aufklärung verdächtig. Die kalte Sonne der Vernunft sollte über der Menschheit strahlen. Das Sinnliche wurde unterworfen und reglementiert – insbesondere das Sehen der Vernunft unterworfen. Wie verhält sich dazu nun das Riechen? Spricht Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ von der Schematisierung und Kategorisierung des Sinnlichen hin zu vernünftiger Erkenntnis, so ist dabei wohl kaum an Gerüche zu denken – auch widersprechen sie ohnehin dem kantischen Postulat der Schematisierung des Sinnlichen in Raum und Zeit schon vor der kategorialen Verarbeitung. Dass das Subjekt, um identisch zu sein, das Naturhafte austilgte, dürfte sich sich in besonderer Weise am Riechen darlegen lassen. Vor diesem Hintergrund wäre die Dialektik der Aufklärung im Fokus des Riechens zu lesen. Das betrifft auch die Konzeption einer möglichen Befreiung der Menschheit von Herrschaft und Ausbeutung. Um einen „positiven Begriff von Aufklärung“ vorzubereiten, sprechen Horkheimer und Adorno von der Notwendigkeit eines „Eingedenkens der Natur im Subjekt“. Der Mensch soll Subjekt sein können, ohne seine Natur, ohne seine Triebe unterdrücken zu müssen. Welche Rolle also könnte das Riechen im Kommunismus spielen?

Anhand einer Interpretation der Irrfahrt des Odysseus auf dem ägäischen Meere beschreiben Horkheimer und Adorno die Konfrontation des werdenden Subjekts mit den Gewalten und Verlockungen der Natur: „Furchtbares musste die Menschheit sich antun, bevor das männliche, identische Selbst entstand und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“ Die Gefährten des Odysseus werden in Hausschweine verwandelt, weil sie nicht Mannes genug waren, den Verlockungen des Sinnlichen zu widerstehen. Das mit seiner Nase im Schlamm wühlende Schwein ist nun allerdings Sinnbild des riechenden Wesens. Es muss eine Sehnsucht nach dem unreglementierten Schnüffeln geben, das sich die zivilisierten Menschen versagen müssen.

Am Ende ihres Siegeszugs durch die Geschichte der Menschheit schlägt die Aufklärung in Mythologie zurück. Im Faschismus werden die unterdrückten Gelüste der Menschheit wieder zugelassen. Aber im Dienste der Herrschaft. Und das trifft nun in besonders starkem Ausmaß das Riechen. Am deutschen Antisemitismus wird die kulturhistorische Bedeutung des Riechens in drastischer und durchschlagender Weise offenbar. Die Antisemiten erlauben sich das verpönte Riechen – allerdings um es vollends auszumerzen. Das Riechen, einst zu Zwecken der Unterdrückung verdrängt, wird wieder zugelassen im Dienste der Unterdrückung. Den Juden wird unterstellt, das zu tun, was sich die „zivilisierten“ Menschen stets und ständig zu versagen haben: nach Herzenslust zu schnüffeln. Die Antisemiten imitieren das Schnüffeln der Juden und betätigen sich selbst als Schnüffelnde um die angeblich stinkenden Juden aufzuspüren. Im Kampf gegen die jüdische Bedrohung gestatten sich die Deutschen das Schnüffeln um die Schnüffelnden zu jagen. Dabei wird die Ausschaltung des Riechens gegründete Herrschaft ein weiteres Mal zementiert. An dem Punkt, an dem diese Herrschaft nicht mehr nötig wäre, wird sie mit Gewalt zusammengehalten und aufrechterhalten.

Diesen und ähnlichen Gedanken soll im Seminar nachgegangen werden. Wir bitten um eine kurze Anmeldung über das Kontaktformular (hier).

  • Flyer zum Seminar: Vorderseite | Innenseite

  • das Seminar beginnt um 11:00 Uhr und wird mit Pausen ungefähr 6 Stunden dauern

  • zur Vorbereitung auf das Seminar finder ihr hier eine kleine Textsammlung zur Physiologie des Riechens → inzwischen gibt es auch einen Reader zum Seminar

  • neben dem TeilnehmerInnenbeitrag (3 € / 2 € ermäßigt) solltet ihr eine Spende für das Mittagessen bereithalten

  • falls ihr von außerhalb kommt, können wir uns gern um Übernachtungsmöglichkeit kümmern - bitte nehmt hierzu kurz Kontakt zu uns auf

Quelle des Fotos